Geschichten

Über den Baum, der einen neuen Platz suchte

Als ich um mich blickte, wirkte alles bunt und hell und beruhigend.

In der Ferne allerdings – ich musste mich schon dafür strecken und ein wenig meinen knorrigen Körper drehen – konnte ich den zartblauen Himmel sehen. Kleine weiße Wölkchen schoben sich unbeschwert über die seidig wirkende Unterlage, und es überkam mich immer das bekannte, sehnsuchtsvolle, leicht schmerzende Gefühl, das der Frühling mit sich herumtrug und in meinem Herzen deponierte. Es war ein Gefühl, das mich veranlasste, mich noch mehr zu dehnen, obwohl es in meinem Gebälk schon verdächtig krachte. Die wohltuenden Sonnenstrahlen hätten mich fast verleitet, einen Hüpfer zu tun, sozusagen in die Startlöcher zu springen – aber das Geknarre an mir dämpfte meinen Energieschub.

Die Berge, die sich vor dem verheißenden Himmel abhoben, schienen mir Stärke vermitteln zu wollen; so als ob sie sagen wollten: “Was kann Dich Baum schon aus der Fassung bringen?“ Zur Unterstützung dieser positiven Bekundung strotzten mir zur Rechten unten auf dem Boden noch all die vielen bunten Blümchen entgegen und reckten ihre Köpfchen zu mir hoch. So eine herrliche Farbenpracht, dachte ich versonnen. Wirkt ja irgendwie wie ein naives Bild, denn die Blumen standen so kerzengerade da, so in die Erde gesteckt, so hingemalt. Auch bemerkte ich, dass die Farben nicht unbedingt verschieden waren. Na ja, dachte ich, vielleicht die gleiche Sorte Gewächs ohne große Abwechslung. Wie aus einem Guss! Es gibt doch solche Orte, wo immer dasselbe gedeiht …. diese Idee beruhigte mich. Hauptsache war momentan, dass sie mir ein insgesamt buntes, fröhliches Bild boten!

Umso erschrockener war ich, als ich an mir hinunterblickte. Gut und schön, es hatte ein bisschen geknarrt vorhin, als ich mich verdrehen wollte. Aber nun?! Der Blick auf meinen dunkelbraunen, hässlich wirkenden Körper ließ mich erstarren.

Ich hatte fast keine Blätter, meine Arme und Beine schienen verhutzelt, verschrumpelt, steinhart. Sie hatten die Form einer fliehenden Schlange. Hatte ich nicht genug getrunken?

Bekümmert blickte ich um mich. Die paar Tränen, die aus meinen Augen liefen, würden den Wasserhaushalt wohl jetzt nicht mehr ausgleichen.

Da – vor mir plätscherte ein lieblicher Bach dahin. In meinem plötzlichen Erschrecken versuchte ich meine Wurzeln und die vertrockneten Arme und Beine, ein wenig in Richtung des Ufers zu strecken. Aber ich stieß auf Widerstand. Wie abgeschottet stand dort das Bachbett. In Schichten aufgestapelt sein Rand. Wie ein Fluss, dessen Ufer seit Jahrtausenden ausgehöhlt wurde und nun diese Steinplatten als Begrenzung hatte.

Ein grauenvoller Gedanke, nicht an das Wasser heran zu können. Ich fragte mich, warum dieser Schlussstrich gerade mich betraf, schließlich umrahmten mich doch die vielen Blümchen!! Obwohl sie alle die gleiche Farbe hatten, wirkten sie knackig und durchtränkt…

Hier stand ich nun: abgekapselt von meiner lebenswichtigen Zufuhr! Dort standen die feuchten Blümchen. Panik ergriff mich bei dem Gedanken, dass etwas nicht stimmte.

Ein nochmaliger Blick auf meinen Körper verstärkte mein Gefühl, fort von hier zu müssen. Der Rest an Kraft in mir, veranlasste mich eine Drehung zu machen, mich zu dehnen und zu strecken und den Bachlauf in die andere Richtung zu verfolgen.

Es war mir klar, dass ich in der Nähe des Baches bleiben wollte und musste, um zu überleben.

In diesem Augenblick entdeckte ich, dass nur diese Seite des Ufers, auf der ich stand, so undurchlässig, so unerbittlich schien; drüben sah es entgegenkommend, freundlich, weich und einladend aus. Durchlässig für meine „Beine“ zu sein. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, dort würden meine Wurzeln Halt und Nahrung finden. Dort wäre mein Weiterleben gesichert.

Das Problem, mit dem ich mich zu beschäftigen hatte, war: wie dorthin kommen?

Wenn ich mich nach hinten fallen ließe, könnte ich vielleicht seitlich wegrollen. Ich sondierte die Lage und stellte mit Erstaunen fest, dass in meinem Windschatten nicht eine einzige Blume stand. Keine dieser lustig wirkenden, oberflächlichen Blümchen, die mir eine heile und bunte Welt vorgaukeln könnten. Sie hatten sich nicht hinter mich gewagt! Was war ich nur für ein Baum? „Weg, weg und nochmals weg“, hämmerten die delikaten Stimmchen meiner dahinsterbenden Äste. Aber wie?

Aus der Lichtung traten plötzlich Menschen, und ich konnte ihre Worte hören. „Schau mal“, sagte die Frau zu ihrem schmächtigen Mann, „auch hier ist das Baumsterben angelangt“ (sie deutete auf mich). „Der Baum dort drüben, der schaut ja furchterregend aus, der bricht sicher bald auseinander“. Ihr Mann nickte beipflichtend.

Mein Gott, dachte ich, können diese Menschen meinen seelischen Schmerz nicht erkennen? Taktlos wie die meisten nun mal sind ….. bewundern nur die Schönheiten, die Oberflächen, ohne fähig zu sein, die „Rinde“ zu durchschauen. Und obendrein sprechen sie noch so laut davon.

Schnellstens weg von hier und Rettung. Das war klar. Aber wie? Ich wurde hektisch und fing an zu zittern. Nun, das war etwas, was ich nun gar nicht gebrauchen konnte, denn meine dünnen, verdorrten Ärmchen drohten abzubrechen, falls ich noch weiterhin so zitterte.

Da kam sie, die Befreiung.

Aber nein, dieser Retter schien ja viel zu schwach. Es war ein junges, zartes Mädchen. Es konnte unmöglich mich knorrigen Baum von hier forttragen. Wie sollte es von meinen seelischen Qualen wissen? Ach Gott – und sprechen konnte ich auch nicht mit ihr.  Selbst wenn sie meinen unendlichen Durst erkennen und vielleicht deshalb Wasser aus dem Bach schöpfen würde – es wäre sicher eine wohltuende Linderung – aber keine Rettung.

Das Mädchen blieb stehen und schaute mich mitleidig an. Ihre kleinen Finger strichen den Kerben meiner Falten entlang, als ob sie diese auslöschen wollte. Sie schien mich zu mögen, denn sie setzte sich unter mein spärliches Dach. Ausgerechnet aber auf meine Wurzel, es tat weh, aber da das Mädchen etwas Nettes ausströmte, und mein Hoffnungsschimmer auf Rettung meine Gedanken durchzog, wurde ich ruhiger und zuversichtlicher. Der kleine Schmerz wurde zur Nebensache.

Die Wärme ihres Körpers über zog meine „Beine“, und Wohlbehagen durchlief mich bei jeder Berührung ihrer anmutigen Hände. Aber schütteln durfte ich mich nicht, durch schoss es mein Gehirn, obwohl ich zwar vor Freude  das Verlangen danach hatte; die Gefahr war zu groß, dass einer meiner Äste abbrach, und wer weiß, was passieren würde, wenn er sie träfe. Sie würde erzürnt davonlaufen und der zarte Keim der Zuneigung wäre erstorben. Das konnte und durfte ich nicht riskieren. Ich musste behutsam sein, mich zurücknehmen, um nichts zu zerstören.

Eine Welle der Stärke und Zuversicht  und  der Gedanke an positive Veränderung durchströmten mich.

Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, ehe das Mädchen aufstand.

Sie schob ihr Kleid zurecht, besah sich ihre Hände und verharrte mit in den Boden gestemmten Beinen. Plötzlich drehte sie sich um. Streckte ihre Arme zu mir hin. Wie weiße Schlänglein umschlossen sie mich. Sie hob mich auf! Schwebte ich? Was war geschehen? Wie konnte sie mich mit so einer Leichtigkeit davontragen?

Ich träumte nicht. Sie trug mich fort von dieser Farce, die sich um mich gebildeten Komödie.

Ihre Geschicklichkeit und Einfühlsamkeit ließ auf eine traditionelle Erziehung,  die Herzensbildung und Intuition betreffend, schließen.

Der Hilfe spendende Bach kam näher. Ich wurde hellwach, als in Form der steilen Brücke mit den dicken Pfosten, das Hindernis auf mich zukam. Die Brücke führte zweifelsfrei in den Weg zur Freiheit, aber wie sollte das Mädchen nun die Steile überwinden? Woher sollte sie die Kraft nehmen, mich darüber zu tragen? Mir wurde furchtbar schwindlig bei diesem Gedanken, und ich entschied, die Augen zu schließen.

Es war, als hob sich alles um mich, als drehte sich mein Rumpf über den Kopf. „Korkenzieher“ schauen so aus, empfand ich. Ich entschied mich, zaghaft durch meine Ästchen zu lugen und bemerkte, dass das junge Kind mich einfach über ihre Schulter gehievt hatte. Wie einen leeren Sack.

Sie hielt mich nun hoch, damit ich nicht mit meiner Krone gegen die Holzpfosten stieß. So ragte ich quer nach oben, und nichts konnte mir geschehen. Da wurde mir klar, dass meine ausgetrocknete Dünne für die Leichtigkeit zuständig war.

Das Wasser plätscherte vertraut unter mir der breiten Öffnung des Baches zu. Mir wurde wohlig zu Mute bei dem Gedanken an die „Neue Welt“, die offensichtlich auf der anderen Seite der Brücke lag.

Das Mädchen verlangsamte nun den Schritt. Sie schien zu überlegen, ob sie mich zu dem sattgrünen Hain tragen sollte. Würden mich dort diese wohlgenährten Bäume akzeptieren? Mich in ihrer Mitte aufnehmen? Ich musste die Antwort gar nicht abwarten, denn das Mädchen schlug nicht in deren Richtung ein, sondern marschierte zielstrebig einem Rondell entgegen. Auch dieses Rund wurde von satten, wunderschönen, schlanken, sich im Winde wiegenden und vor allem durchtränkten Bäumen begrenzt. In der Mitte des Rondells ließ sie mich bedächtig zu Boden gleiten. Sie wusste: Nur hier würde ich mich wohl fühlen. Diese Selbstverständlichkeit, mit der sie agierte, erfüllte mich mit unendlicher Liebe zu diesem kleinen Wesen.

Hier stand ich nun, umringt von starken und schönen Geschöpfen der Natur, die mir aber dennoch den Durchblick auf den gegenüberliegenden Hain ließen, und wo ich, wann immer ich Lust dazu verspürte, mit Dank auf die steile Brücke blicken konnte, die mich zu einem neuen Leben geleitet hatte.

Inzwischen fingen aber meine „Beine“ an, nach festem Untergrund und Wasser zu flehen.

Es war für die Kleine unmöglich mit ihren zarten Händchen ein dickes Loch für mich zu graben. Aber diese vom Himmel gesandte Hilfe ging schnurstracks zur Brücke, wo sie ein loses Holzbrett abhob – kam zurück – und fing an, damit die Erde für mein Bett auszuheben.

Genüssliche Wärme durchströmte mich, als sie mich einpflanzte. Dieser Duft, dieser würzige Duft, der aus dem feuchten Moos aufstieg, kitzelte mich. Ich hätte gerne lautstark genießt, doch mein desolater Zustand hielt mich davon ab. Hier konnte ich nun ausruhen und neue Kraft sammeln. All das Neue aufnehmen und wissen – dies führte zu unendlichem Glück.

Es überkam mich das Schauern des Ungewissen, welches doch die Gewissheit des Guten in sich trug. Erschöpft und ausgelaugt ließ ich mich tief in die weiche Unterlage sinken. Im Nu überwuchsen Moosstücke meine Wurzeln, gaben ihnen ihre Durchlässigkeit zurück. Beglückt ruhte das Mädchen auf meinen „Beinen“ und begutachtete ihr gelungenes, kostbares und liebevolles Werk.

Der Sicherheit ihrer Entscheidung bewusst, lehnte sie ermattet an mir.

Nichts tat mehr weh – obwohl reines Glück doch schmerzen kann. Aus der mich umgebenden Erde stiegen eine Menge hilfreicher, nährender und mütterlicher Dinge auf, sodass ich mich nicht mehr so sehr nach Wasser sehnte.

Es war überwältigend. Wie sehr hatte ich mich nach Geborgenheit, die mir aber auch Freiheit ließ, gesehnt.

Wie sehr blutete mein Herz bei dem Gedanken an Zweisamkeit – aber ich wusste um die guten Freunde in der nahen Ferne. Ich war umrahmt von blühender Gesundheit und herrlichen satten Farben.

 

Nichts Abweisendes, Unechtes, Zurückhaltendes, Falsches kam mehr an mich heran…

   Da wachte ich auf ……………

 

 

 

 

DER ZWEITE TRAUM

Die Geschichte eines  wunderbaren Traumes in der Nacht von Sonntag auf Montag, den 24.11.1969

Meine Mutter, einige Freunde, mein Freund und ich waren auf dem Land. Man hatte uns in einem alten Gutshof untergebracht. Riesige Zimmer, weite Fluchten und uraltes Mobiliar waren der primäre Ausdruck dieses herrlichen Hauses.

Umsäumt war dieses Gemäuer von  einem weitläufigen Park. In der Ferne, aber noch innerhalb dieses imposanten Geländes, konnte man die Türme eines Schlosses sehen.

Als wir alle müde vom Segeln, Schwimmen, ja selbst vom Faulenzen, eines Abends nach Hause in unser Gutshaus kamen, raunte mir jemand – ich weiß nicht wer – zu, dass auf dem Schloss eine Hochzeit stattfinde. Auch wurde mir wie vom Wind zugeflüstert, wer der Bräutigam sei.

Es traf mich wie ein Keulenschlag!

DER Mann, den ich seit Jahren anhimmelte, mein göttliches Wesen, ER, der von mir mit jeder Faser meines Herzens Angebetete  – für ihn wäre ich für die bedingungslose Liebe bereit – nein, das war ja fast lächerlich … ich kannte ihn ich doch gar nicht. So etwas kann man nicht einfach so beurteilen, oder doch?

Es war damals ein Bild, das ich von ihm sah und das sich sofort in mein Herz eingebrannt  hatte.  Doch meine Träume hatten mir danach  vermittelt, wie er war, wie er in Lebensgröße aussah. Diese Imaginationen hatten mich mit ihm verbunden und ebenso,  dass wir dieselben Empfindungen und Einstellungen zum Leben hatten. Parallelwelten?

Alles schien rein, so einfach und so unendlich liebevoll.

Aber es war damals ein Traum. Und nun sollte dieser wahr werden? Ich sollte ihn sehen, denn dort drüben in dem verwunschenen Schloss war er. Er würde heiraten. Ein Mädchen in meinem Alter…

Es war mir klar, ich musste dorthin, sollte kommen was wolle, ich würde alles riskieren, um ihn einmal in Natura zu sehen, zu riechen, zu erleben. Nur so konnte ich feststellen, ob meine Einbildung, ihn zu kennen, wahr sei.

Jemand hatte einst mein Herz entflammt – ein Phantom?

Bald würde ich es wissen.

Mein Ego fing an, mir ein schlechtes Gewissen einzureden: Was würden meine Mutter, meine Freunde, und der Mann, mit dem ich hier scheinbar unbeschwerte Tage verlebte, sagen?I

Ich mochte meinen Freund, aber jetzt?! Ich schien ihn gerne zu haben, aber seine Existenz verblasste bei diesem Gedanken an das bald Geschehene.

Ich fühlte, wie sehr ich in den Wunsch, in das Schloss zu gelangen, hineinschlitterte. Es war doch kein Phantasiegebilde, man hatte mir doch zugeraunt, dass dort in dem Schloss mein heimlich Geliebter sei, eine Heirat finde statt – keine fünfhundert Meter von mir entfernt.

Er werde dort stehen, im Glanz dieser Schönheit, die ihm durch die Liebe zu einem mir fremden Geschöpf verliehen wurde. Dieses von ihm geliebte Mädchen??

Heiße Eifersucht überkam mich – war ich nicht auch schön, war ich nicht auch mit Liebe zu ihm erfüllt, würde ich nicht alles geben, würde ich nicht selbstloser sein als dieses Mädchen, dass er  zu lieben glaubte??

Ich mahnte mich zur Ruhe, ich kannte doch beide nicht. Trotzdem wusste ich im Unterbewusstsein – war es doch seit Jahren ausgebildet worden – es konnte ja keine Eifersucht geben, denn wir würden EINS sein. Sonst wäre es ja unlogisch,   wie könnte ich in so einem Zustand eifersüchtig sein?

Hastig suchte ich in einem der leeren Gutsräume und Ankleidezimmer nach einem eleganten Abendkleid. Ich fand ein wunderschönes, gelbes Empirekleid und betrachtete mich im Spiegel. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, dass ich gar kein Makeup für mein Gesicht nötig hatte, etwas Überirdisches leuchtete daraus. Es war nicht Schönheit im gebräuchlichen Stil – nein – es war etwas, das sehr selten vorkam und weit entfernt aussah. Undurchdringlich – und doch wusste ich, dass es diese von mir noch nie so empfundene Liebe war; dieses Gefühl berauschte mich!

Ich hatte noch nie so geliebt und doch wusste ich im selben Moment, dass dieses Gefühl umsonst war – nie ausgewirkt werden konnte – aber es war da – und mit jedem Schritt, den ich unter Trance durch den schummrigen Park machte, wurde ich glücklicher, selbstherrlicher, denn endlich hatte ich die Liebe, die ich einem Mann schenken wollte und konnte. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass das Ganze vielleicht ein wenig „verrückt“ schien, dazu war ich viel zu viel gefangen von dem unerklärlichen und erstmaligen Gefühl.

Ein wenig verlegen bemerkte ich, dass ich durch ein Tor getreten war, funkelnde Lichter ließen  mich aus meinen beglückenden Gedanken auffahren.

Menschenmengen bewegten sich auf einen großen Saal zu, der über eine geschwungene Treppe in ein tieferes Erdniveau führte. Langsam, unendlich langsam kamen mir meine Schritte vor,  nebenbei vernahm ich das Geflüster – es musste wohl mir gelten.

Sie werden denken, ein ungebetener Gast kommt da, dabei konnten sie ja nicht wissen, dass diese Minute von mir seit Jahren herbeigesehnt worden war. Ja, sie würde mein Leben entscheidend ändern. Sicher wunderten diese Menschen sich, woher dieses Mädchen im gelben Kleid, langen Haaren und dem für sie unerklärlichen Blick kam.

Nun traten sie sogar einen Schritt zur Seite, um mich vorbei zu lassen. Hatten sie Angst vor mir?

Ach,  wenn sie nur wüssten, wie glücklich ich war, sie würden mich beneiden und ihr eigenes Leben überdenken.

Ich hatte eine Art Arkadenhof erreicht und lehnte mich direkt erschöpft von all dem auf mich Einströmenden, an eine Wand. Die Menschen hatten sich beruhigt – was mich betraf – allerdings huschten ab und zu forschende Blicke zu mir herüber. Hatten diese festlichen Leute nie diesen Gesichtsausdruck gesehen? Hatten sie nie die große Liebe gefunden? Es schien mir unverständlich.

Etwas überkam mich – eine Art Zwang in eine bestimmte Richtung zu schauen – ich tat es und erst glaubte ich in einen der antiken Spiegel zu sehen: Die gleichen Augen, derselbe Moment, in dem sich zwei Körper wie unter einem Peitschenschlag aufbäumten – und doch war es nicht im Spiegel – es waren wir!

Es mussten Minuten vergangen sein, in denen wir uns in die Augen blickten, selbstverständlich, ganz natürlich. Und wieder ging das Raunen und Wispern der Gäste los. Es weckte mich förmlich auf und dabei traf mein Blick auf ein wunderschönes Mädchen – deutlich sichtbar – seine Braut.

Aber das berührte mich nicht im geringsten, denn seine Reaktion mir gegenüber war viel zu klar. Ich wollte ihn ihr doch nicht wegnehmen, das hatte ich gar nicht vor, ich wollte ihm nur mein Hochzeitsgeschenk bringen. Ich wollte ihm meine Liebe, die nur für ihn bestimmt war, übergeben. Wollte dann  mit leerem Herzen hinausgehen; so in mein vergangenes Leben eintauchen, es so leben wie vor dem Moment des Erkennens.

Gerade als ich mich umdrehen wollte, blieb ich wie erstarrt stehen – die leuchtenden Augen waren vor mir, eigentlich in annähernd gleichen Höhe – ich konnte die braunen Pünktchen, die so flirrten, sehen. Aber in meiner Phantasie hatte er doch grüne Augen gehabt  ………….. ja sie waren es auch.

Er hätte sich nicht zur Seite drehen brauchen. Ich kannte sein Jahren sein Profil, es gefiel mir so gut – aber er tat es, als ob er mich überzeugen wollte, dass ich den so lange von mir gesuchten Mann gefunden hätte – ihn.

Zwei ineinander verschmolzene Menschen konnten nur die Hemmungslosigkeit besitzen, eben die Anwesenden zu vergessen, hingegeben einen plötzlich aufklingenden Walzer zu tanzen und über die Mosaiken zu schweben.

Ich sträubte mich, wieder in die Realität einzutauchen. Immer schneller wurden die Walzer Drehungen, immer heftiger die Umklammerung – wir hatten uns – noch eine Drehung – noch eine Runde. Die vier Musiker würden eine Scheidung aussprechen in dem Moment, in dem  sie aufhören würden zu spielen, aber im gleichen Moment in dem eine Hochzeit stattfinden sollte. Es schien grotesk. War das überhaupt möglich? Konnte jemand eine so überirdische Liebe trennen? Die Masse Menschen, die Braut, die in ohnmächtiger Wut ihren Bräutigam mit einem in gelber Seide gewandeten Mädchen tanzen sah – nur tanzen?

Wir hatten bisher kein Wort gesprochen, das hätte alles zerstört, unwirklich, profan gemacht.

Es war allerdings die Konvention, eben aus Tradition, Verpflichtung und Erziehung ein Mensch unter Menschen zu sein – die mich aus den Armen „meines“ Mannes riss, nicht hastig etwa, nein gefestigt, umgewandelt.

Es würde nie wieder etwas geben, was mich aus den Gleisen springen lassen würde! Da war ich mir sicher.

Diese letzten Minuten waren die Bestätigung für eine Zukunft – das kommende Leben. Es konnte nichts mehr geben als die letzten Erlebnisse, die mich glücklicher gemacht haben.

Deshalb hastete ich nach dem „letzten Walzer“ auch nicht durch den Park zurück, nein ich genoss die Stille, die mich überflutende Ausgeglichenheit. Wie lange hatte das alles gedauert? Höchstens fünfzehn Minuten. Dass fünfzehn Minuten so entscheidend in meinem  Leben sein konnten, hätte ich nie gedacht. Ich wusste ja, dass er genauso gefühlt hatte, das war so klar, wie alles, das vorgefallen war. Klar für zwei ein und dieselben Menschen. Komisch?

So hatte ich mein Proforma-Heim erreicht. Ebenso den Mann, der all das nie verstehen würde – der mit der Liebe (wenn man es so nennen kann), die ich ihm bot, zufrieden war.

Der verklärte Ausdruck in meinen Augen musste vergangen sein, denn dem Übriggebliebenen fiel nur die Eigenartigkeit meiner Kleidung auf. Später erklärte er mir, dass ihm diese Weise von Schönheit, die ich ausstrahlte, noch nie aufgefallen sei.

Ein äußerliches Überbleibsel dieses für mich unvergesslichen Augenblicks.

Ruhig schlief ich seinen Armen ein.

Es war ein herrlicher Traum. Es war DER TRAUM