Die hessische Kanzlerfamilie Fabrice und ihre Nachkommen Teil I

Der Ursprung der  hessischen Kanzlerfamilie Fabrice  1. Teil  (1550 -1798)

Auszug aus: „Die Familie Gans 1350-1963“ von Angela von Gans und Monika Groening, verlag regionalkultur, 2006

Die Familie Fabrice gehörte zu den verdienstvollen Beamtenfamilien des alten Deutschen Reichs, die im 16. bis zum 19. Jahrhundert verschiedenen Landesherrn, zumeist als studierte Juristen und mehrfach in der Funktion eines Kanzlers gedient haben.

Zurückzuführen ist die Stammfolge auf Weiprecht Schmidt (1550–1610), der als Angehöriger des humanistisch gebildeten Standes seiner Zeit seinen Familiennamen Schmidt in die latinisierte Form Fabricius überführte. Er entstammte dem Homburger Patriziat, hatte an der juristischen Fakultät der Universität Marburg sein Examen abgelegt und war als Finanzverwalter in die Güterverwaltung des Grafen von Isenburg-Büdingen eingetreten, offenbar noch bevor sich das Grafenhaus in verschiedene Linien mit unterschiedlich großen Besitztümern aufteilt.

Die  Qualitäten von Weiprecht Fabricius als Regierungsbeamter zeigten sich schon darin, dass er als Finanzverwalter des Amtes Offenbach, wohin der gräfliche Landesherr 1556 seine Residenz verlegt hatte, im zu Offenbach gehörenden Ort Dreieichenhain verschiedene Güter erwerben konnte, teils durch Kauf, teils durch Erbschaft nach seiner zweiten Ehefrau Ursula Kistner (1576–1650), die mehrere Güter ihrer Eltern mit in die Ehe brachte.

Die drei von Weiprecht Fabricius gestifteten Linien der Familie Fabrice zeigen alle drei die gleichen Tendenzen: Nach fundierter juristischer Ausbildung wurde der Eintritt in die höhere Ämterverwaltung angestrebt. Wir finden hohe Staatsbeamte aus der Familie Fabrice in der Verwaltung von Hessen-Darmstadt und Hessen-Hanau, von Frankfurt als Reichsstadt und Celle als Residenzstadt, des Wetterauer Grafenkollegs, der Burg Friedberg, der Fürstenhäuser Braunschweig-Lüneburg und Hannover sowie des zu Mecklenburg gehörigen Fürstentums Ratzeburg, womit jeweils der Erwerb kleinerer und größerer Güter einherging, deren kluge Bewirtschaftung zum Unterhalt der Familie und zur Repräsentation des Amtes mit beitrug. Nachgeborene Söhne, die keine direkten Beamtenstellungen fanden, standen häufiger in höheren militärischen Diensten, bisweilen auch im europäischen Ausland.

Neben der hohen Begabung der männlichen Familienmitglieder für ihre Ämter war für die nächsten Generationen nach Weiprecht Fabricius bedeutsam, dass in allen Bereichen der Ämterverwaltung der erstarkenden deutschen Landesregierungen ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr der Adel, sondern das hoch ausgebildete, regierungserfahrene nobilitierte Bürgertum dominierte.

Einige Mitglieder des hier interessierenden Zweiges, der zu meiner Großmutter Ellinka Freiin von Fabrice führt, möchte ich exemplarisch vorstellen: Der Sohn Weiprecht Schmidts (Fabricius), Philipp Ludwig von Fabricius (1599–1666), studierte Rechtswissenschaften an der 1607 gegründeten Landesuniversität Gießen sowie in Marburg und avancierte 1627 zum Hessen-Darmstädtischen Sekretär und Hessischen Rat in Darmstadt am Hof der Landgrafen von Hessen-Darmstadt, einer lutherischen Linie des Fürstenhauses, die 1567 Georg I. von Hessen-Darmstadt mit rund 1.300 km² und 20.000 Einwohnern geerbt hatte und der den Besitz durch Erbschaft und 1604 durch Zukauf der südlichen Hälfte von Hessen-Marburg erweitern konnte.

Im Jahr 1644 wurde Philipp Ludwig von Fabricius, nachdem er seit 1637 die Stelle eines Vizekanzlers innehatte, gemeinsam mit seinen Brüdern vom habsburgischen Kaiser in den erblichen Adelsstand erhoben. Seit 1648 bekleidete er in der Residenz in Darmstadt die einflussreiche Stelle des hessischen Kanzlers.

Philipp Ludwig von Fabricius um 1644 (Archiv AvG)
Das Wappen der Familie Fabrice, verliehen vom Habsburger Kaiser 1644 an Philipp von Fabricius

Interessanterweise war er verheiratet mit der Tochter eines Aachener Handelsherrn, nämlich mit Martha Maria von Münten (1604–1679), was auf internationale Wirtschaftsverbindungen des Grafenhauses von Darmstadt aus hindeutet. Philipp Ludwig und Martha Maria von Münten waren Inhaber des freigewordenen adeligen Gutes der erloschenen Familie Schlaun von Linden in Großen-Linden, das dem Kanzler mit einiger Sicherheit in Anerkennung seiner Verdienste, wohl insbesondere während der schwierigen politischen Jahre während des Dreißigjährigen Krieges, von seinem Landesherrn verliehen worden war und einige Generationen lang im Lehnsbesitz der Familie blieb.

 

Der in Gießen geborene zweitälteste Sohn von Philipp Ludwig von Fabricius unserer Stammlinie, Eberhard von Fabricius (1630–1698), studierte Jura in Gießen, übernahm in Gießen die Stellung eines Fürstl. Hessischen Rats und Konsistorial-Assessors in der evangelischen Kirchenverwaltung des Landesherrn und fungierte seit 1668 als Hessischer Rat und Amtmann zu Biedenkopf, Battenberg und Blankenstein, bevor er in die gräflich-mannsfeldische Verwaltung in Thüringen eintrat und in Eisleben in den Diensten des Inhabers einer der drei Linien des mannsfeldischen Grafenhauses stand, wo er die Kanzlerstelle innehatte. Eberhard nannte sich fortan Eberhard von Fabrice.

Er war verheiratet mit der aus Gertruydenberg bei Breda stammenden Niederländerin Anna de Bevener (1658–1681). Eberhard von Fabrice tat sich als Verfasser juristischer und historischer Schriften hervor. Da der in Eisleben verwaltete Landesteil der Mannsfeldischen Güter nicht von großer Bedeutung war, wird der Vorteil der Stellung von Eberhard von Fabrice in der Tatsache gelegen haben, dass die Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg schwierige Aufbaujahre waren und die Anstellung des Kanzlers in Eisleben seiner Familie daher einen gewissen Schutz geboten haben wird.

Die Zeiten hatten sich inzwischen gebessert, denn der 1661 in Gießen geborene, zweitälteste Sohn von Eberhard von Fabrice, Johann Conrad (1661–1733), trat nach seinem Jurastudium in Gießen um 1685 die Stellung eines Fürstl. Braunschweigischen Regierungsrates und Hofrats in Ratzeburg an. Das Fürstentum Ratzeburg gehörte seit 1653 zu Mecklenburg-Schwerin und kam 1701 an Mecklenburg-Strelitz.

Möglicherweise hatte der Bruder des Vaters von Johann Conrad, also sein Onkel, der Herzoglich Braunschweigisch-Lüneburgische Geheime Rat, Vizekanzler, von 1705 bis 1724 auch Minister und seit 1711 Oberappelationsgerichts-Präsident zu Celle, Weipert Ludwig von Fabrice (1640–1724), die Weichen zum beruflichen Aufstieg von Johann Conrad in braunschweigischen Diensten gestellt.

Weipert Ludwigs Tochter, vermutlich Maria Margarethe 1671-1738
Weipert Ludwig v. Fabrice 1640-1724

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit dieser Zeit standen mehrere Mitglieder der Beamtenfamilie von Fabrice außerdem in höheren Stellungen des Fürstenhauses Hannover, so auch Weiperts Sohn, der in Celle geborene Friedrich Ernst von Fabrice (1683–1750). Er hatte ein bewegtes Leben, stand  fast drei Jahrzehnte auf der Bühne der Großen Welt, in der er eine Rolle spielte. Erst als Gesandter des Herzogs von Schleswig-Holstein, später hielt er sich mehrere Jahre bei dem gefangenen gehaltenen König Karl XII von Schweden in der Türkei auf. Nach dessen Tod wurde Fabrice   Kammerherr und enger Vertrauter des Königs Georg I. von Großbritannien und Irland (1660–1727) . Der König starb in seinen Armen.

Rudolf Griesser: Die Memoiren des Kammerherren Friedrich Ernst von Fabrice.
Die Enkelin von Weipert Ludwig v. Fabrice: Marie Hippolyte, (1723-1793) Erbin des Majorats nach dem Tode der Brüder ihres Vaters Johann Ludewig, war verheiratet mit August Wilhelm v. Schwicheldt.

Bis 1798 sind Mitglieder der Familie Fabrice in Celle nachweisbar, und es gibt sogar eine Fabrice Straße. Es ist ein bemerkenswerter Zufall der Geschichte, dass zu derselben Zeit Mitglieder der jüdischen Familie Gans zahlreich in Celle lebten. Möglicherweise haben sich beide Familien gekannt. Weipert von Fabrice soll ein reiches Fideikommiss, unter anderem ausgedehnten Landbesitz, seinen Nachkommen hinterlassen haben.